Rezension zu "Gute Gesetzessprache als Herausforderung für die Rechtsetzung"
16. Jahrestagung des Zentrums für Rechtsetzungslehre
von Felix Uhlmann und Stefan Höfler (eds.). Zürich & St. Gallen, Dike Verlag 2018.
8. Januar 2019
urn:nbn:de:hbz:38-92165
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Es sind alte und immer wieder neue Fragen der Gesetzgebung, mit denen sich der hier zu rezensierende Sammelband befasst: Was ist gute Gesetzessprache? Und wie erreichen wir die Qualitätsanforderungen. Denn, wie der Titel sagt; „Gute Gesetzessprache ... ist eine Herausforderung für die Rechtsetzung“. Das Werk versammelt Aufsätze zu diesem Thema aus verschiedenen Perspektiven: Rechtswissenschaft, Sprachwissenschaft, Gerichtspraxis, Praxis der Gesetzesredaktion.
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Aus dem Blickwinkel der Rechtswissenschaft erörtern Felix Uhlmann, Ordinarius für Rechtswissenschaft an der Universität Zürich, und sein Assistent Adrian Boxler die Problematik. Als wichtige qualitative Anforderungen an eine gute Gesetzessprache werden Normativität, Kohärenz, Klarheit, Prägnanz, Adressatengerechtheit genannt, als spezielle Problemzonen erscheinen Redundanz, Vagheit und Ambiguität. Ebenso werden auf den ersten Blick fraglos sinnvolle Forderungen wie Adressatengerechtheit und Klarheit problematisiert: „Der Begriff der Klarheit [ist] keineswegs so klar ...“. Diese Probleme werden an einzelnen Beispielen verdeutlicht, allgemeinere sprachliche Problemhintergründe werden jedoch eher kurz angedeutet.
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Thomas Müller-Graf, Präsident des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, diskutiert Probleme der Gesetzessprache aus der Sicht der richterlichen Anwendung. Ein Schwerpunkt des Beitrags liegt auf der Frage nach dem Umgang mit Bestimmtheit und Unbestimmtheit von Gesetzesbestimmungen. Einer der Standardtopoi der Rechtstheorie lautet bekanntlich, dass Alltagssprache generell unbestimmt ist. Bestimmtheit und Unbestimmtheit sind, wie Müller-Graf bemerkt, allerdings „relative“ Kriterien. Dieser für die Rechtsetzung und Auslegung interessante Gedanke wird jedoch nicht näher ausgeführt. Nach Müller-Graf gibt es für die Konkretisierung unbestimmter Bestimmungen im rechtsstaatlichen System austarierte Kompetenzverteilungen zwischen Exekutive, Verwaltung und Gericht. Ferner sind unbestimmte Rechtsbegriffe im engeren Sinne darauf angelegt, dem Gericht angemessene Entscheidungsspielräume unter Abwägung aller in Frage kommenden, auch nicht in der Norm selbst thematisierten Gründe zu eröffnen. Kritik übt Müller-Graf jedoch an einer zu offenen Legiferierung, die zu einer Verschiebung der Kompetenzen von der Verwaltung zu den Gerichten führt. Dieselbe Konsequenz hat „symbolische Gesetzgebung“, die mit unbestimmten Rechtsbegriffen und offenen Zielnormen operiert. Zum Schluss formuliert Müller-Graf drei Forderungen an den Gesetzgeber: Gesetze sollen steuern, statt „Zeichen setzen“, neue Gesetze sollen sich in den bestehenden rechtlichen Traditionszusammenhang einfügen („Einheit der Rechtsordnung“), die Erarbeitungen sollen transparent sein und in den Materialien gut dokumentiert werden.
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Stefan Höfler, Leiter des Forschungsbereichs Rechtslinguistik am Zentrum für Rechtsetzungslehre der Universität Zürich, fragt nach den Kriterien einer guten Gesetzessprache aus der Perspektive der linguistischen Verstehens- und Verständlichkeitsforschung. Von Bedeutung ist dabei, dass die Verstehensproblematik verschiedene Ebenen der Textrezeption umfasst: nicht nur die Rezeption des Einzelsatzes mit Wortschatz und Satzbau, sondern auch Zusammenhänge auf Textebene, die über den einzelnen Satz hinausgehen, sowie die pragmatische Ebene, Absichten und Motivationen hinter einer Mitteilung. Wie Verstehens- und Verständlichkeitsprobleme auf diesen verschiedenen Ebenen sprachlich gelöst werden können, wird an zahlreichen konkreten Beispielen veranschaulicht. Der Aufsatz überzeugt so in seiner Verbindung von Theorie und Praxis.
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Die Probleme der Verständlichkeit erörtert Sascha Wolfer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, aus psycholinguistischer Sicht. Angewandt werden psycholinguistische Testmethoden, welche das Leseverhalten und die Verstehensgeschwindigkeit anhand von Augenbewegungen untersucht. Testmaterial sind Sätze aus Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, im Fokus stehen Verarbeitungsprobleme bei Nominalisierungen, Einschachtelungen und anderen komplexen Satzstrukturen. Nicht überraschend brauchen Leserinnen und Leser länger, solche Strukturen zu verarbeiten, als parallele Strukturen ohne derartige Komplikationen. Vorgeschlagen wird demgemäß, zur Verbesserung der Verständlichkeit derartige Strukturen durch Formulierungen zu ersetzen, welche die jeweiligen Komplexitäten umgehen. Damit, dass die Textgrundlage aus der Begründung zu einem Gerichtsurteil stammt, also nicht aus einem Gesetzestext, und die Verarbeitungsgeschwindigkeit einzelner Sätze (außerhalb eines größeren Kontextes) gemessen wird, ist allerdings nur eine beschränkte Relevanz der Ergebnisse für die Gesetzesredaktion gegeben.
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Einzelfragen, die immer wieder in der Gesetzesredaktion zu Diskussionen Anlass geben, werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Redaktionsstab Rechtssprache beim deutschen Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV, Berlin) sowie der Schweizerischen Bundeskanzlei und des Bundesamtes für Justiz (Bern) erörtert:
Gudrun Raff (Berlin) behandelt Anforderungen und Missgriffe bei Legaldefinitionen. Häufig ist beispielsweise, dass Legaldefinitionen innerhalb eines Gesetzes völlig überflüssig sind, dass darin normative Regelungen versteckt werden oder durch Verweise zirkulär werden. Verständlichkeit und Präzision hat hier auch mit logischer Stringenz zu tun. Daneben spielt die Einbettung von Definitionen in den allgemeinen Sprachgebrauch eine Rolle, diese wiederum mit der definitionstheoretischen Anforderung, Unbekanntes mit Bekanntem zu definieren.
Mehr mit der Struktur und Systematik von Gesetzen als mit einzelnen Formulierungen zu tun hat die Problematik von Anhängen, die von Lisbeth Sidler (Bern) diskutiert wird. Aber auch hier können mit dem sorgfältigem von Vor- und Nachteilen der Ausgliederung von Erlassinhalten in Anhänge durchaus Verständlichkeitsverbesserungen erreicht werden.
Alfred Zangger (Bern) beschäftigt sich mit der Guten Praxis der Verweissetzung. Verweise sind ein besonders anschauliches Beispiel für die konträre Verbindung von Einfachheit, Präzision und (Un-)verständlichkeit. Nach Zangger ist nicht jeder Verweis notwendig und zweckmäßig. Bei unbegrenzter Verwendung resultieren „Verweisketten“, bei denen der tatsächliche Normgehalt kaum mehr erkennbar wird. Unterschiedliche sprachliche Formen der Verweisung können je nach Kontext den Text unterschiedlich verständlich und klar machen, hier gibt es Spielräume der Technik, um ein optimales Gleichgewicht zwischen Präzision und Verständlichkeit zu erreichen.
Andreas Hartmann und Zsuzsa Parádi (Berlin) thematisieren das Stichwort „Kürze“, eine der stereotypen Qualitätsanforderungen an Gesetzesformulierungen. Das Postulat der Kürze kann unterschiedlich motiviert werden: normative Relevanz (nur, was für die Norm relevant ist, versprachlichen), Wahrung der Normidentität (nicht die gleiche Norm an verschiedenen Orten mehrmals formulieren), Verständlichkeit (möglichst einfache Sprachform im Interesse des schnellen Verstehens). Kürze kann jedoch kein absolutes Qualitätskriterium sein und birgt als pauschal und unreflektiert angewandte Strategie auch Gefahren: Implizite normative Voraussetzungen werden möglicherweise nicht ausgesprochen, verschiedene Norminhalte werden dadurch vermengt, dass Unterschiedliches zusammengepackt wird, in Verweisen als Mittel der Ökonomie werden die tatsächlichen, möglicherweise umfangreichen Normgehalte nur versteckt. Das Bestreben nach Kürze muss in Einklang gebracht werden mit jenem nach Präzision und angemessener Sichtbarkeit des tatsächlichen normativen Gehalts einer Formulierung.
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Zwei Beiträge beschäftigen sich mit institutionellen Rahmenbedingungen für die Kontrolle der redaktionellen Qualität von Erlassen. Hans Altherr beleuchtet die Probleme aus der Sicht des Parlamentariers, der auch in der Redaktionskommission des schweizerischen Parlaments tätig war. Diese Redaktionskommission überprüft die redaktionelle Qualität von Bundesgesetzen nach deren Beratung und vor der Verabschiedung. Für Parlamentarier im schweizerischen Parlamentssystem steht aus verschiedenen Gründen die Arbeit an der Sprache in einem Gesetz eher im Hintergrund. Wenn ein Erlass in der Redaktionskommission behandelt wird, sind allerdings die meisten Entscheide gefällt und sprachliche Änderungen sind nur beschränkt möglich.
Faktisch von größerer Bedeutung für die Gesetzesredaktion ist in der Schweiz die Arbeit der verwaltungsinternen Redaktionskommission, die von Stefan Höfler dargestellt wird. Diese Kommission, zusammengesetzt aus Sprachwissenschaftlern und Juristen, überprüft alle Erlasse, die innerhalb der Bundesverwaltung erarbeitet werden, und kann an die Fachämter Änderungsvorschläge einbringen und mit diesen gegebenenfalls auch diskutieren. Bei Unklarheiten, Widersprüche oder Lücken in den Entwürfen sind auch Anfragen und Bemerkungen zu materiellen Problemen möglich und werden erfahrungsgemäß bei der Bereinigung auch regelmäßig berücksichtigt.
Der Beitrag von Stefan Höfler zeigt, wie für die Pflege einer guten Gesetzessprache auch geeignete institutionelle Rahmenbedingungen von Bedeutung sind. Es müssen Institutionen für eine professionelle rechtslinguistische Spracharbeit geschaffen werden, Fachämter und Juristen müssen aber auch offen sein für Vorschläge aus Blickwinkeln außerhalb von juristischen und fachlichen Insider-Zirkeln, was eine bestimmte Kultur der interdisziplinären Sprachpflege impliziert.
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Die Forderungen, welche im Zentrum dieses Sammelbandes stehen, sind, wie eingangs erwähnt, uralt. Merksätze wie „Rechtsetzende Erlasse sollen präzise, knapp und verständlich formuliert sein“ (Einleitung) oder „Kein Wort zu wenig, keins zu viel, das ist der beste Stil“ (Merksatz im Regierungsgebäude von Herisau, Appenzell-Ausserrhoden, zitiert von Hans Altherr) formulieren seit der Zeit der Römer bekannte Maximen. Uralte Forderungen, die aber offenkundig immer aktuell bleiben – weil sie nie zufriedenstellend erfüllt werden? Die Gründe für die Persistenz dieser Klagen sind vielschichtig. „Präzis, knapp, verständlich“ sind zunächst allgemein gehaltene Postulate, bei denen im Einzelfall nicht evident ist, wie sie zu erreichen sind. Zwischen Ideal und Realisierung bleibt der Abgrund zwischen Abstraktheit und Konkretheit, Theorie und Praxis. Die Rechtstheorie der Juristen bleibt zumeist bei den allgemeinen Forderungen. Manche Feststellungen aus der Feder von Juristen in diesem Sammelband sind durchaus relevant für die Pflege einer guten Gesetzessprache, von der auch die normative Qualität abhängt, werden aber nicht weiterverfolgt, so etwa die Forderung, dass neue Gesetze in das bestehende Rechtssystem einzubetten sind, oder die Feststellung, dass Eigenschaften wie Klarheit und Unbestimmtheit weniger bestimmt sind, als es scheint. Generell werden die verschiedenen Qualitätsanforderungen an die Gesetzessprache in der Rechtstheorie kaum je präzise genug und sprachtheoretisch und textlinguistisch solide ausgearbeitet. Dies wäre aber notwendig, um zu einer kohärenten Praxis zu gelangen. Bekanntlich stehen ferner die Ziele der Präzision, Knappheit und Verständlichkeit oft miteinander in Konflikt. Wie sie in ein Gleichgewicht gebracht werden können, muss in einer detaillierten Analyse der Vor- und Nachteile konkreter Strategien erörtert werden. In jeder Einleitung zur Rechtswissenschaft und auch in der Einleitung zum vorliegenden Band findet sich der Standardsatz, dass Rechtsetzung Arbeit an der Sprache ist; manche konkreten Formulierungen zeigen aber einen Mangel an Sprachreflexion und logischer Konsistenz auch bei Personen, deren Kerngeschäft das Verfassen von Texten ist. Kurz: Die Theorie und Praxis einer guten Gesetzessprache bedarf sowohl einer fundierten Rechtslinguistik, welche eine solide Sprach- und Texttheorie in die Rechtstheorie integriert, wie der Reflexion über das Handwerk des Formulierens. Vor allem der Beitrag von Stefan Höfler aus der Rechtslinguistik und die Beiträge aus den Redaktionsdiensten zu Einzelfragen lassen erkennen, wo hier weiterführende Wege möglich sind: Die allgemeinen, vortheoretisch gefassten Postulate sind rechtslinguistisch-theoretisch zu fundieren und auf ihre logischen, gesetzgebungstheoretischen, textlinguistischen und grammatischen Grundlagen zurückzuführen. Das Handwerk, die Methoden der Bewältigung konkreter Formulierungsprobleme im gegebenen sprachlichen Rahmen, ist zu systematisieren, aber auch am konkreten Material zu erproben und vorzuführen. Der vorliegende Sammelband bietet dazu manche wertvollen Anregungen und zu Einzelfragen nützliche konkrete Erkenntnisse.
Felix Uhlmann und Stefan Höfler (eds.).
Gute Gesetzessprache als Herausforderung für die Rechtsetzung.
16. Jahrestagung des Zentrums für Rechtsetzungslehre.
Zentrum für Rechtsetzungslehre (ZfR), Band 8.
Zürich / St. Gallen, Dike Verlag 2018. ISBN: 978-3-03891-031-2.