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Rezension zu „Legal Translation in Context. Professional Issues and Prospects“

von Annabel Borja Albi und Fernando Prieto Ramos (eds.). New Trends in Translation Studies Vol. 4. Oxford [et al.], Peter Lang 2013.

 

Emilia Lindroos

4. Mai 2016

urn:nbn:de:hbz:38-67279

 


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Das hier zu rezensierende Werk Legal Translation in Context befasst sich mit dem komplexen Themengebiet juristisches Übersetzen aus einer praxisnahen Perspektive. Wie bereits im Vorwort des Werkes betont wird, sind die letzten Jahrzehnte für die Forschung im Bereich des juristischen Übersetzens fruchtbar gewesen, aber die auf dem Fachgebiet angefertigten Untersuchungen haben sich bisher vorwiegend auf Rechtsterminologie, bestimmte rechtliche Textsorten oder auf Übersetzungsmethoden fokussiert. Studien zur professionellen Realität der juristischen Übersetzer hingegen sind rar gewesen. Somit ist eine Lücke bezüglich des konkreten Berufsbildes der juristischen Übersetzer entstanden, die eine Auseinandersetzung mit den auf der Rückseite des Werkes aufgeworfenen Fragen nicht nur berechtigt, sondern dringend erforderlich macht: „What does it take to be a legal translator? What is expected of legal translation professionals in the public and private sectors?”

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Vor diesem Hintergrund zielt das als Ergebnis eines von der Fakultät für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Genf geleiteten zweijährigen internationalen Projekts entstandene, Werk darauf ab, einen systematischen Überblick über die vielfältigen beruflichen Profile und Einsatzsituationen der juristischen Übersetzer zu geben. Schon ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis bestätigt, dass der Band einen sehr weiten Bereich abdeckt: Diverse Fragestellungen zum professionellen Alltag freiberuflicher und fest angestellter juristischer Übersetzer werden durch Beiträge renommierter Autoren thematisiert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Die inhaltlich sehr unterschiedlichen Aufsätze sind sinnvoll in drei voneinander getrennte Abschnitte geteilt: juristisches Übersetzen in privatem Sektor (Legal Translation in the Private Sector, Teil 1), juristisches Übersetzen für nationale öffentliche Institutionen (Legal Translation for National Public Institutions, Teil 2) und juristisches Übersetzen in internationalen Organisationen (Legal Translation at International Organisations, Teil 3).

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Der erste Teil zum juristischen Übersetzen in privatem Sektor enthält vier aufschlussreiche Beiträge, in denen in erster Linie allgemeine Aspekte bezüglich des beruflichen Alltags der freiberuflichen juristischen Übersetzer zum Vorschein gebracht werden. Eingeleitet wird der Teil in Kapitel 1 mit dem Beitrag Comparative Law for Translation: the Key to Successful Mediation between Legal Systems von Jan Engberg, in dem er die Bedeutung der Rechtsvergleichung für das juristische Übersetzen trotz der unterschiedlichen Ziele und Interessen der Rechtsvergleicher und Übersetzer betont und somit die zum Kernwissen eines juristischen Übersetzers gehörende rechtliche Komponente darstellt. Für die Entwicklung des Berufsbildes der juristischen Übersetzer wichtige Erkenntnisse liefert Kapitel 2 Certified Translators in Europe and the Americas: Accreditation Practices and Challenges von Francisco Vigier, Perla Klein und Nancy Festinger. Hier wird eine vergleichende Studie zu den sehr unterschiedlichen Praktiken bezüglich der professionellen Akkreditierung der freiberuflichen juristischen Übersetzer in Europa und in Amerika vorgestellt. Die Untersuchung umfasst das Vereinigte Königreich, Spanien, Deutschland, Griechenland, Argentinien und die USA. Unter Berücksichtigung der enormen Verantwortung der juristischen Übersetzer ist neben dem Dschungel der uneinheitlichen Akkreditierungsverfahren vor allem das noch existierende grundlegende Missverständnis bezüglich der Abgrenzung zwischen Übersetzen und Dolmetschen alarmierend: „[…] unfortunately, the general trend seems to be that anyone accredited to translate is considered by the general public and, more surprisingly, by the authorities, legal professionals and judicial officials to be equally capable of interpreting to a professional standard, and vice versa” (S. 47).

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Im dritten Beitrag mit der Überschrift Freelance Translation for Multinational Corporations and Law Firms gibt Anabel Borja Albi einen aufklärenden Überblick über die Praxis der freiberuflichen Übersetzung für multinationale Unternehmen und Anwaltskanzleien im Bereich des Handels- und Gesellschaftsrechts. Dabei beschreibt sie in einer insbesondere für Einsteiger nützlichen Weise die Karriereentwicklung eines freiberuflichen juristischen Übersetzers von der Auswahl des Spezialisierungsgebiets Recht bis zur Wahrung der Klientenkontakte ohne dabei die erforderlichen Kompetenzen zu vergessen: vergleichende Kenntnisse auf dem jeweiligen Rechtsgebiet, Vertrautheit mit den Textsorten, umfassendes Verständnis des rechtlichen Diskurses und die Fähigkeit zur Verwendung von CAT-Tools (S. 59 ff.). Im darauffolgenden Kapitel 4 Challenges of the Freelance Legal Translator: Lifelong Learning, Ethics and Other Key Professional Issues bespricht João Esteves-Ferreira abschließend die wesentlichen Herausforderungen für freiberufliche juristische Übersetzer, die er in fünf Kategorien zusammenfasst: Ausbildung, Ethik, Netzwerke für juristische Übersetzer, Geschäftspraktiken und professionelle Anerkennung. Beachtenswert ist vor allem der vom Autor im Rahmen der Ethik besprochene allgemeine Verhaltenskodex (S. 78–80), dessen einzelne Regeln mit großem Nachdruck schon während der Ausbildung betont werden müssten. In der Realität bekommt der professionelle juristische Übersetzer zu oft solche Übersetzungen von Rechtstexten zu revidieren, die der ursprüngliche Übersetzer wegen fehlender rechtlicher oder auf die Konventionen der Textsorte bezogener linguistischer Kenntnisse nicht als Auftrag hätte annehmen sollen. So bemerkt Esteves-Ferreira hier zutreffend: „Legal translators must know they are right, and must be able to assure the client that there are no gaps in their knowledge that might affect their translation” (S. 80).

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Dem ersten Teil, der somit notwendiges Hintergrundwissen zum Wesen der Übersetzungstätigkeit im Bereich des Rechts liefert und als sinnvolle Einleitung zu den folgenden Teilen dient, folgt der ebenfalls aus vier Beiträgen bestehende zweite Teil, in dem die Dimensionen des juristischen Übersetzens im Kontext der Judikativen, Exekutiven und Legislativen behandelt werden. Zu Beginn präsentieren Juan Miguel Ortega Herraéz, Cynthia Giambruno und Erik Hertog in Kapitel 5 mit dem Titel Translating for Domestic Courts in Multicultural Regions: Issues and New Developments in Europe and the United States of America eine vergleichende Studie zum juristischen Übersetzen in strafrechtlichen Gerichtsverfahren in Europa und in den USA. Unter besonderer Berücksichtigung der doppelten Rolle der Übersetzungstätigkeit, die zum einen der Gewährleistung eines fairen Gerichtsverfahrens für den Angeklagten und zum anderen der Sicherstellung des Zugangs zu entscheidungsrelevanten Informationen für die beim Gericht tätigen Beamten und Richter dient, wird auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und die spezifische Situation der juristischen Übersetzer in europäischen und amerikanischen Gerichten eingegangen. In Kapitel 6 Translating for the Police, Prosecutors and Courts: The Case of English Letters of Request beschäftigt sich Leo Hickey weiter mit dem Strafrecht, insbesondere mit der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, in dem er Rechtshilfeersuchen als besonderes rechtliches Sub-Genre und deren Übersetzung aus dem Englischen ins Spanische analysiert. Anhand von Beispielen aus diesen für die effiziente polizeiliche Zusammenarbeit erforderlichen und stark konventionalisierten Dokumenten zeigt er, wie viel detailliertes Wissen das Übersetzen einer einzigen rechtlichen Textsorte voraussetzt.

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In dem darauffolgenden knapp gehaltenen Aufsatz Translating for Government Departments: the Case of the Spanish Ministry of Foreign Affairs and Co-Operation von Ramón Garrido Nombela liegt das Augenmerk auf der Diplomatie und auf internationalen Beziehungen. Es werden die Eigenheiten der Übersetzung im institutionellen Kontext (institutional translation) sowie die Rolle und Aufgaben eines juristischen Übersetzers beim spanischen Außenministerium diskutiert. Im Schlusswort weist der Autor noch auf die in Spanien im Jahre 2011 angefertigte Studie White Paper on Institutional Translation and Interpreting hin, die die Diskrepanz bezüglich der Praktiken und Stellung der juristischen Übersetzer in den spanischen Verwaltungsorganen zum Vorschein bringt und als Sprungbrett zur Verbesserung der Situation dienen soll. Aus der finnischen Perspektive besonders interessant ist Kapitel 8 Translating vs Co-Drafting Law in Multilingual Countries: Beyond the Canadian Odyssey, in dem auf die Gesetzgebung in mehrsprachigen Staaten eingegangen wird. Jean-Claude Gémar bespricht das Thema Übersetzung vs. Koredaktion von Gesetzestexten und erörtert die Vor- und Nachteile dieser beiden Methoden insbesondere in Kanada und in der Schweiz. Vom Standpunkt der (vergleichenden) Rechtslinguistik hervorzuheben ist, dass in diesem Beitrag flüchtig die in Kanada aus der historischen Notwendigkeit zur Erarbeitung zweisprachiger Rechtsvorschriften entstandene Disziplin „jurilinguistics" erwähnt wird, die ursprünglich mit der Übersetzungstätigkeit eng verbunden war, aber als Annäherungsweise sich mittlerweile auch auf monolinguale Texte anwenden lässt (S. 156 ff.). Abgesehen von diesem Beitrag wird das Nutzen der (vergleichenden) Rechtslinguistik für das juristische Übersetzen im Werk leider nicht weiter thematisiert.

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Das eigentliche Kernstück des Bandes bildet der umfangreichste dritte Teil mit seinen sechs Beiträgen, von denen die ersten fünf sich den diversen beruflichen Profilen der juristischen Übersetzer in internationalen Organisationen widmen. Zunächst berichten Susan Šarčević und Colin Robertson in Kapitel 9 The Work of Lawyer-Linguists in the EU Institutions über die Einstellung und Aufgaben der Juristen‑Übersetzer (lawyer-linguists) in den Institutionen der Europäischen Union und gehen auch auf die Rolle der künftigen Juristen‑Übersetzer in dem Kandidatenland Kroatien ein. Anschließend beschreiben Xinming Zhao und Deborah Cao in Kapitel 10 Legal Translation at the United Nations die Übersetzungstätigkeit in den Organen der Vereinten Nationen anhand von veranschaulichenden Beispielen und geben dabei praktische Hinweise zur Förderung der Übersetzungstätigkeit. Weiter stellen Alexandra Tomić und Ana Beltrán Montoliu in Kapitel 11 Translation at the International Criminal Court die Arbeit der juristischen Übersetzer beim Internationalen Strafgerichtshof vor, wo neben dem mehrsprachigen und multikulturellen Arbeitsumfeld seltene Sprachen und die Kriegsverbrechen als Verfahrensgegenstand besondere Herausforderungen für den Übersetzer stellen. In dem ebenfalls auf Strafrecht bezogenen Kapitel 12 Legal Translation at INTERPOL bietet Muriel Millet einen interessanten Einblick in die Arbeit der juristischen Übersetzer im Bereich der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit bei Interpol. Anschließend vermittelt Fernando Prieto Ramos in Kapitel 13 Legal Translation at the World Trade Organization dem Leser ein Bild von Besonderheiten des juristischen Übersetzens in der Welthandelsorganisation, insbesondere im Kontext des WTO-Streitbeilegungsmechanismus. Zu guter Letzt befasst sich Olivier Pasteur in Kapitel 14 Technology at the Service of Specialized Translators at International Organizations mit der Frage nach der Brauchbarkeit der im Rahmen der computergestützten Übersetzung (computer-assisted translation, CAT) verwendeten CAT-Tools, die sich mittlerweile als unentbehrliche Hilfsmittel eines jeden Fachübersetzers etabliert haben.

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Insgesamt lässt sich nach der Lektüre sagen, dass dieses für Einsteiger wie auch für erfahrene Praktiker interessante Werk seinem Titel durchaus gerecht wird. Sein besonderer Wert besteht gerade darin, dass sie dem Leser eine umfassende Übersicht über den aktuellen Stand der Übersetzungspraxis bietet: das Werk veranschaulicht die Unterschiede in den erforderlichen Qualifikationen und Profilen der juristischen Übersetzer, die sich aus der Anpassung des Berufsbildes an die Bedürfnisse der jeweiligen Organisation ergeben. Diese Vielfalt der bearbeiteten Themen mag bei dem fachunkundigen Leser einen etwas undurchsichtigen Eindruck hinterlassen, und aus diesem Grund wäre ein zusammenfassender Ausblick zum Abschluss nicht fehl am Platze gewesen. Für Leser mit Fachkompetenz ist der rote Faden dennoch zu erkennen; in den einzelnen Beiträgen treten im Grunde dieselben – womöglich selbstverständlich erscheinenden – Elemente wiederkehrend auf, die die Grundlage für eine erfolgreiche Karriere auf dem Gebiet des juristischen Übersetzens bilden. Die auf das Übersetzen diverser rechtlicher Textsorten bezogene Aussage von Esteves-Ferreira (S. 76) lässt sich hier zutreffend in Bezug auf die gesamte facettenreiche Profession verwenden: „Despite all this variety, certain characteristics are common to all the tasks of [freelance] legal translators. Their professional concerns, challenges and needs vary little, if at all [...]”. Zu diesen angesprochenen Kernkomponenten gehören u. a. eine angemessene Ausbildung mitsamt adäquater rechtlicher, sprachlicher und übersetzungswissenschaftlicher Kenntnisse, die Mitgliedschaft in Berufsverbänden und Vernetzung mit Kollegen, die Aneignung von Expertenwissen auf dem jeweiligen Rechtsgebiet, die Einhaltung der ethischen Grundsätze, die kontinuierliche Weiterbildung und Errichtung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung sowie die professionelle Anerkennung.

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Obwohl die Autoren in ihren Beiträgen vorwiegend die hohen Anforderungen an juristische Übersetzer im beruflichen Kontext thematisieren, befinden sich im Werk auch Hinweise auf einige noch zu beseitigende Missverständnisse und zu lösende Probleme, denen Aufmerksamkeit sowohl seitens relevanter Interessengruppen als auch seitens der juristischen Übersetzer selbst geschenkt werden muss. Zum einen besteht noch Bedarf zur Aufklärung der Auftraggeber, insbesondere der Übersetzungsbüros und der Justizbehörden, über die notwendigen Qualifikationen juristischer Übersetzer sowie über ihr konkretes Berufsbild. Zum anderen ist die Eigenverantwortung der freiberuflichen Übersetzer als Anbieter von spezialisierten Übersetzungsdienstleistungen zu betonen, denn – wie dem Leser bekannt wird – jedermann kann sich, unabhängig von der tatsächlich vorhandenen Qualifikation, die Berufsbezeichnung eines juristischen Übersetzers aneignen. Der Schlüssel zur Stärkung des Berufsstandes der juristischen Übersetzer weltweit liegt somit in der Auseinandersetzung mit diesen kritischen Punkten. Es ist offensichtlich, dass zur Beseitigung der Schwachstellen noch besondere Anstrengungen erforderlich sind, wozu das aufklärende Werk seinerseits ohne Zweifel beiträgt. In vielen Fällen ließe sich die Entstehung von Problemen jedoch schon während der Ausbildung verhindern, weshalb hier ein Brückenschlag zwischen Berufsausbildung und Berufspraxis wünschenswert gewesen wäre, d. h. eine tiefergehende Berücksichtigung der Frage, inwiefern juristische Übersetzer in ihrer heutigen Ausbildung auf die im Werk besprochenen beruflichen Herausforderungen vorbereitet werden und welche weiteren Maßnahmen diesbezüglich ergriffen werden müssten. Trotz der wenigen Mängel bleibt festzuhalten, dass es sich hierbei um ein für Studium und Praxis geeignetes Werk handelt, das einen wertvollen Beitrag zur Diskussion um das juristische Übersetzen leistet und Anreize für künftige Forschung und Lehre gibt.


Annabel Borja Albi und Fernando Prieto Ramos (eds.).
Legal Translation in Context. Professional Issues and Prospects.
[New Trends in Translation Studies. Vol. 4.]
Oxford [et al.], Peter Lang 2013. ISBN: 978-3-0343-0284-5.